Vogalonga 2018 - Wanderfahrt mit der Barke in und um Venedig
Diesmal gab es an Pfingsten eine Wanderfahrt der ganz besonderen Art, für die unser Fahrtenleiter Stefan Lemme neun motivierte Ruderinnen und Ruderer um sich geschart hatte. Ein deutsch-deutsches Barkenabenteuer mit fünf Wessis, nämlich Christine, Kirstin, Roman und mir (Katja) aus der Saarbrücker Undine sowie Rolf aus Aachen, vier Ossis aus den Rudervereinen Rathenow, Grünau und Treptow, nämlich Verena, Katja, Chrissi und Wolle, und schließlich Stefan, irgendwo zwischen Ost und West…
Wir hatten uns also verbündet, um gemeinsam das legendäre Ruderspektakel Vogalonga live in Venedig auf unserer Barke mitzuerleben. Die Vogalonga war in den 70er-Jahren als Protestaktion gegen die wachsende Zahl von Motorbooten in Venedig und den Verfall der Stadt ins Leben gerufen worden. Seither sind alljährlich an Pfingstsonntag die großen Kanäle Venedigs für fast alle Motorboote gesperrt und nur für Bootsklassen freigegeben, die mit reiner Muskelkraft bewegt werden.
Während die Berliner und Brandenburger ihre Wegstrecke erst am Samstag mit dem Flieger zurücklegten, traten die Übrigen schon am Donnerstag von Saarbrücken aus mit Bus und Barke im Schlepptau die Reise nach Venedig an - mit Zwischenstopps in Füssen und am Gardasee.
Tag 1: Eine gute Vorbereitung ist nicht immer alles. Es ist der Vortag der Vogalonga, die To-do-Liste für die Zeit nach unserer Ankunft in Venedig ist lang und im Prinzip muss wegen des engen Zeitplans alles parallel von statten gehen. Denn das Registrierungsbüro für die Vogalonga schließt am Mittag und die Berliner landen zur gleichen Zeit am Flughafen in Venedig. Entladen von Bus und Barke am Campingplatz, Bezug der beiden benachbarten Mobile Homes, Transport der Barke zum Hafen Mestre, Klarmachen der Barke, Kranen der Barke, Montieren der Ausleger auf dem Wasser, Liegeplatz für die Barke sichern, Anmeldung unseres Teams beim Veranstalter in Venedig, Einsammeln der Berliner auf dem Flughafen.
Als wir am Hafengelände ankommen, stehen wir plötzlich in der einzigen Zufahrt zum Hafen, die beidseitig zugeparkt und folglich nur noch eine super-schmale Einbahnstraße ist. Da die Zufahrt aber auch weiter vorne mit Autos und Bootshängern hoffnungslos verstopft ist, dauert es noch lange bis wir endlich mit unserer Barke durch das Tor aufs Hafengelände fahren können, wo sie mit einem Kran ins Wasser gehievt werden soll. Stefan macht sich also zu Fuß auf den Weg in die Stadt, während sich die Berliner ein Taxi zum Campingplatz nehmen. In der Zwischenzeit läuft das Klarmachen und Kranen der Barke wie geschmiert und am späten Mittag liegt das Boot selig auf seinem Liegeplatz in der venezianischen Lagune.
Tag 2: Die 44. Vogalonga - und wir sind dabei! Der große Tag beginnt mit Sonne pur, stahlblauem Himmel und einer lauen Meeresbrise. Vom Liegeplatz in Mestre aus, starten wir bestens gelaunt mit unserer Barke in Richtung Venedig. Vor der Abfahrt haben wir Mädels uns noch verbündet und zur Feier des Tages die Barke mit viel Liebe und allerlei dekorativem Schnickschnack ein wenig aufgepimpt, auch wenn unser Fahrtenleiter keinen Hehl daraus macht, dass er das für Firlefanz hält… Es sind rund sechs Kilometer bis zum Startpunkt der Vogalonga, die uns einstimmen auf das Ruderereignis des Tages. Und was uns da erwartet, ist tatsächlich unglaublich: Ein quirliger, bunter Haufen von Menschen hat sich in der türkisblauen Lagune vor den Toren Venedigs versammelt. Tausende verteilt auf viele, viele hundert Boote, Menschen und Boote gleichermaßen hübsch ausstaffiert. Keine Bootsklasse, die es nicht gibt: Renn- und Gigruderboote aller Kategorien, große und kleine Gondeln liebevoll geschmückt, Kanus und Kajaks, X-CATs, Barken und Kirchboote - einfach alles, was sich mit Muskelkraft bewegen lässt.
Die rund 30 Kilometer lange Rundfahrt führt durch die großen Kanäle der Stadt hinaus in die Lagune und anschließend durch die Kanäle der beiden bekannten Inseln Burano und Murano wieder zurück nach Venedig.
Als wir nach dem Start zum ersten Mal in den Canal Grande einfahren, wird uns schlagartig klar, wer auf dieser Vogalonga - und nicht nur da, sondern während der gesamten Wanderfahrt - bei uns an Bord den schwierigsten Job von allen hat: der Steuermann! Für das Manövrieren der Barke zwischen hunderten kleinen und großen Booten in der schmalen Fahrrinne braucht es Nerven wie Drahtseile. Es ist ein herrlich buntes Treiben auf dem Wasser und an Land, von wo aus uns die vielen Menschentrauben begeistert zurufen und -winken. Was für ein Erlebnis, all die eindrucksvollen Bauten Venedigs vom Canal Grande aus zu entdecken! Draußen in der Lagune gilt es, nicht nur die vielen Untiefen im Blick zu haben, sondern auch das Bootsgewimmel. Gelegentlich kommt die Trillerpfeife zum Einsatz, um Kajaks und Kanus aus dem Weg unserer behäbigen Barke zu scheuchen.
Als wir zum zweiten Mal die Einfahrt nach Venedig erreichen, wo der Endspurt eingeläutet wird, hat sich dort in der Mittagshitze eine Traube von Booten angesammelt. Dicht an dicht stehen Drachenboote, Gondeln, Ruder- und Paddelboote und stauen sich zu einem großen Trichter. Wir können erkennen, dass die Einfahrt gesperrt ist und nur stoßweise Boote hineingelassen werden. Nach einer knappen Stunde haben Stefan und ich uns im Bug mit den Stechpaddeln zum Einlass vorgekämpft und entern nun endlich zum zweiten Mal den Canal Grande, wo die Fahrt wieder einigermaßen flüssig vorangeht. Wir ziehen noch einmal vorbei an den Prachtbauten der Stadt und unzähligen winkenden Zuschauern.
Unter dem Jubel der Menschen an den Promenaden fahren wir auf der Zielgeraden ein, erschöpft zwar, aber beflügelt von dem, was wir heute erlebt haben. Am Sammelpunkt im Ziel gibt es per “Luftpost” für jeden noch eine Medaille und eine Urkunde, bevor wir uns mit hungrigen Bäuchen auf den Heimweg nach Mestre machen. Bilanz am Ende des Tages: 44 erlebnisreiche Kilometer in der Barke.
Tag 3: Die Welt ist klein - auch in Venedig. Die für heute geplante Tour soll uns auf der offiziellen Fahrrinne um die Lagunenstadt herumführen, mit Zwischenstopp an einem schönen Strand fürs gemeinsame Picknick an einer der Außenkanten der Lagune mit Blick aufs offene Meer, bevor es zur Insel Murano weitergehen soll, die weltberühmt ist für ihre Glaskunst. Tagesziel: etwa 30 Kilometer.
Es stellt sich heraus, dass die Fahrt mit der Barke in der offiziellen Fahrrinne inmitten unzähliger großer und kleiner Motorboote und entsprechend hoher Kreuzwellen selbst in unserem behäbigen Gefährt eine echte Herausforderung ist, sowohl für die Ruderer als auch für den Steuermann. Ein ganz besonderes Vergnügen ist es für Verena am Riemen auf Backbord im Bug, da jeder Wellenbruch eine erfrischende Ganzkörperdusche für sie bereithält, und den Assistenten des Steuermannes, der mit dem Lenzen kaum hinterherkommt.
Als wir die Hauptader Venedigs verlassen, kommen wir aber schließlich doch noch in schönes, ruhiges Lagunengewässer auf dem Weg zum gelobten Strand, da draußen am Übergang zum Meer. Nachdem wir eine Weile gerudert sind, beschleicht uns jedoch das dumpfe Gefühl, dass sich die Barke kaum von der Stelle bewegt, obwohl wir unser Allerbestes geben. Ein Blick auf den GPS-Tracker verschafft Klarheit: 3 km/Stunde! Das lässt sich nun selbst mit den vielen Bierchen und Klopfern vom Vorabend nicht erklären. Des Rätsels Lösung liegt in der Flut, die uns mit aller Kraft zurück in die Lagune drückt. Umdisponieren heißt also das Zauberwort und wie’s das Glück will, erblicken wir ganz in der Nähe einen vielversprechenden Strand. Als wir mit der Flut ruckzuck die angepeilte Insel - Sant’Erasmo - erreichen, sehen wir, dass der Strand bereits von einigen Gigvierern geentert wurde, ein gutes Zeichen. Als wir die Barke festmachen, stellt sich obendrein heraus, dass die Rathenower Flagge an unserer Barke erkannt wurde. Die anderen Ruderer stammen aus Neuruppin, dem Dunstkreis unserer Ossis - man kennt sich!
Nach einem schönen Picknick mit Plausch und einigen Aperol Spritz in der dortigen Strandbar, brechen wir mit unserer Barke auf in Richtung Murano, eine der Inseln rund um Venedig, die bekannt ist für ihre Glaskunst. Etwas außerhalb des Zentrums finden wir einen perfekten Platz zum Anlegen an einem ruhigen Steg. Von dort aus erkunden wir eine gute Stunde lang die hübsche kleine Insel, flanieren vorbei an unzähligen Läden, die vor allem eines verkaufen: Glas in allen erdenklichen Kreationen.
Tag 4: Raindrops keep falling on our heads… Heute sind wir - wie auf jeder Wanderfahrt - wieder einmal an diesem Punkt, wo ans Rudern nicht zu denken ist, weil’s schon am Morgen schifft wie aus Kübeln. Fürs Alternativprogramm teilt sich die Gruppe in zwei Lager: Die einen, dazu gehöre ich, drängt es nach Venedig auf der Jagd nach den berühmten kulturellen Highlights der Stadt, die anderen zieht es auf die für ihre bunten Häuschen und ihr hübsches Textilhandwerk bekannte Insel Burano vor den Toren Venedigs.
Schon als Roman, Rolf, Stefan und ich an der ersten Touristenattraktion, der Rialto-Brücke, ankommen, sind wir nass bis auf die Haut. Was zwar, zugegeben, unseren Blick auf dieses legendäre Bauwerk etwas trübt, uns aber keineswegs in unserem Eifer bremst, noch weitere Sehenswürdigkeiten abzuklappern. Die Basilica di San Marco präsentiert sich dann auch trotz des Schietwetters imposant mit ihren wunderschönen Kuppeln und Fassaden aus üppigem Marmor, filigranen Fresken und vergoldeten Skulpturen, die selbst bei Regen nichts von ihrem Glanz einbüßen. Nicht minder eindrucksvoll ist natürlich der Dogenpalast. Die endlosen Warteschlangen vor den Eingängen der Museen sind allerdings noch beeindruckender und halten uns von einem Besuch im Innern ab.
Wir lassen uns treiben, immer der Nase nach und möglichst fernab der Touristenströme und des Getümmels, hinein in die verwinkelten, urigen Gässchen entlang der Wasserstraßen - dorthin, wo Venedig noch unverstellt scheint und es immer wieder Spannendes zu entdecken gibt. Was für ein logistischer Kraftakt muss das Leben und Wirtschaften in einer Stadt sein, in der es nur Wasserstraßen, schmale Gassen und viele, viele Treppen gibt?
In einem verlassenen Winkel Venedigs taucht plötzlich vor uns eine kleine aber feine Schreinerei auf, die sich auf die Herstellung so genannter Remo (das sind die Riemen der venezianischen Gondeln) spezialisiert zu haben scheint. Und das tut sie ausgesprochen kunstvoll, wie wir durch die einladend offenen Türen und Fenster beobachten können. Einige der Riemen entstehen nicht aus einem Guss, sondern werden aus verschiedenen Hölzern zu einem Stück verleimt. Das verleiht dem fertigen Riemen eine Fülle feiner Farbnuancen und Maserungsspiele. Die Hölzer verströmen ihren herrlichen Duft bis zu uns hinaus auf die urige kleine Gasse… eine schöne Momentaufnahme.
Da sich inzwischen die kriechende Nässe in unseren Kleidern partout nicht mehr verleugnen lässt, treten wir mit der Tram den Heimweg an. Am Campingplatz wiedervereint, frönen wir wie üblich unserem Lieblingsmotto: Hauptsach’ gudd gess. Das kennen die Ossis inzwischen auch schon… Heute brutzelt unser Allrounder Stefan für die ganze Mannschaft feine Schnitzel, während sich Roman perfekt um das leckere Drumherum kümmert. Es sei hier noch erwähnt, dass sich die Undine in Sachen Trinkkultur am vierten Abend so langsam ihren Kameraden aus Berlin annähert, die da wirklich nicht zimperlich sind. In dieser Nacht wird wieder einiges an bunten Fläschchen weggeklopft. Skål!
Tag 5: Aug’ in Aug’ mit den Riesen. Am letzten Tag erkunden wir mit der Barke zuerst das Forte Marghera, eine große historische Festungsanlage aus dem 19. Jahrhundert, und anschließend, sozusagen als Kontrastprogramm zur venezianischen Idylle der vorangegangenen Tage, den Hafen von Mestre mit seinem rauen Charme, den die alten Industrieanlagen, Werften und Ozeanriesen versprühen. Auf unserer Route begegnet uns dann auch tatsächlich einer dieser Containerriesen, als er direkt vor unseren Augen von einem Schlepper aus dem Hafenbecken manövriert wird und wir ihm mit der Barke lieber ausweichen. Eine Situation, die einen nicht unbeeindruckt lässt.
Im Anschluss an die Hafenrundfahrt machen wir einen letzten Abstecher nach Venedig und stürzen uns erneut mutig ins Getümmel der Motorboote, wo wir mit unserem muskelbetriebenen Kahn auf einsamem Posten sind. Auf dem Rückweg nach Mestre wird die Fahrt wieder ruhiger und nach 18 geruderten Kilometern erreichen wir den Heimathafen und können zügig die Barke kranen und reisefertig machen.
Am Abend versammeln wir uns dann ein letztes Mal zum gemeinsamen Essen, Trinken und Schnacken und dabei geht es wie immer sehr lustig zu. Es ist der Abschluss einer wunderbaren Wanderfahrt mit vielen eindrucksvollen Momenten, an die wir uns noch sehr lange zurückerinnern werden.
Dies ist eine gekürzte Version des Reiseberichts. Der ausführliche Artikel erschien in den Undine-Mitteilungen 2-2018.